Internet staunt über antikes Gemälde: Hält die Frau ein Smartphone in der Hand?

Kunst spielt gerne mit der Illusion. Doch hält auf einem Gemälde aus dem 19. Jahrhundert eine abgebildete Frau wirklich ein Smartphone in der Hand?

Das Werk
Das Werk "Die Erwartete" des Österreichischen Malers Ferdinand Georg Waldmüller sorgt derzeit im Netz für Gesprächsstoff. (Bild: Hajotthu/Wikicommons) (Hajotthu/Wikicommons)

Es ist ein lieblicher Sommertag. Im Schatten des Waldes wartet ein junger Mann mit Rosen in der Hand auf seine Liebste. Diese läuft, mit gesenktem Haupt, auf ihn zu, den Blick auf etwas in ihrer Hand gerichtet … Im Jahr 2022 denken nun sofort alle: Klar, die junge Frau scrollt noch schnell durch Instagram oder Twitter!

Aber das Gemälde, das diese Szenerie abbildet, wurde schätzungsweise zwischen 1850 und 1860 von Ferdinand Georg Waldmüller angefertigt. Es ist also schlicht unmöglich, dass "Die Erwartete" auf ein Smartphone blickt – auch wenn genau dieser Eindruck derzeit die Gemüter im Netz erhitzt.

Was hält die junge Frau wirklich in der Hand?

Die Antwort darauf, was die Frau auf dem Gemälde nun wirklich in der Hand hält, ist schnell gefunden: ein Gesangs- oder Gebetbuch. Denn das Bild ist auch unter dem Namen "Sonntagmorgen" bekannt und legt nahe, dass sich diese Szene vor oder nach dem Kirchenbesuch zugetragen hat.

Peter Russell, ein pensionierter Regierungsbeamter aus Glasgow, war einer der Ersten, die sich mit dem Kunstwerk in diesem Kontext befassten: Er habe das Gemälde in der Neuen Pinakothek in München gesehen und es habe ihn nicht mehr losgelassen. Die Diskussionen um das Bild würden zeigen, wie sehr sich die Gesellschaft verändert hat.

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"Was mich am meisten beeindruckt, ist, wie sehr ein technologischer Wandel die Interpretation des Gemäldes und in gewisser Weise seinen gesamten Kontext verändert hat", so Russell. "Die große Veränderung besteht darin, dass 1850 oder 1860 jeder einzelne Betrachter den Gegenstand, in den das Mädchen vertieft ist, als Gesangbuch oder Gebetbuch identifiziert hätte. Heute kann niemand die Ähnlichkeit mit der Szene eines Teenagers übersehen, der auf seinem Smartphone in soziale Medien vertieft ist."

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