Tschernobyl: Hinweise auf beunruhigende Kettenreaktion

Tief im Inneren des havarierten vierten Reaktorblocks von Tschernobyl macht sich eine beunruhigende Kettenreaktion bemerkbar. Wissenschaftler haben eine Lösung für das Problem, doch diese stellt sich als ausgesprochen schwierig dar.

Chernobyl Nuclear power plant 2019 under blue sky
Der immer noch stark verstrahlte havarierte Reaktor 4 des stillgelegten Atomkraftswerkes Tschernobyl unter seinem schützenden Sarkopharg (svedoliver via Getty Images)

Das explodierte Atomkraftwerk Tschernobyl macht auch 35 Jahre nach der Katastrophe immer noch Schlagzeilen: Als beliebter Touristenort, als gruselige Atomruine mit angrenzender Geisterstadt oder auch als mögliches UNESCO-Weltkulturerbe, das an die tödlichen Gefahren, die durch nukleare Katastrophen verursacht werden können, erinnern soll. Eine bizarre Story machte kürzlich die Runde durchs Netz, nachdem Ermittler in der Ukraine 1.500 komplett verstrahlte Flaschen Apfelschnaps konfiszierten, der mit Früchten aus der Sperrzone hergestellt wurde. Jetzt gibt es neue News Tschernobyl, dieses mal betreffen sie den wortwörtlichen Kern der Katastrophe.

Hinweise auf Kettenreaktion im Reaktor-Inneren

Forscher haben Hinweise darauf gefunden, dass sich im Keller des explodierten AKWs eine beunruhigende Situation anbahnt. Aufgrund des noch immer existierenden Reaktor 4 samt seines Inhaltes, wird die Umgebung rund um Tschernobyl streng überwacht. Diese Überwachung beinhaltet auch das ständige Messen der Strahlenwerte. Anatolij Doroschenko vom Institut für Sicherheitsprobleme von Kernkraftwerken (ISPNPP) gab nun in Kiew bekannt, dass mehrere Sensoren im Bereich von Block 4 stetig steigende Neutronenwerte melden würden. Das sei ein klarer Hinweis auf eine sich selbst erhaltende Kernreaktion im Inneren des AKWs. Diese Tatsache an sich sei noch kein Grund zur Sorge, da man das Problem theoretisch leicht in den Griff bekommen könnte, die Problematik liegt woanders.

Problematischer Bereich ist für Menschen nahezu unerreichbar

Verursacher der steigenden Neutronenwerte sind die großen Mengen Corium, die sich noch immer im Inneren des Reaktors befinden. Corium ist eine Substanz, die aus dem Uran-Brennstoff, den Graphit-Steuerstäben und dem Bor-Sand-Gemisch, das nach der Katastrophe zum Löschen des Kerns genutzt wurde, besteht und sich nach dem Atomunfall nahezu durch den gesamten Keller des Reaktors durchgeschmolzen hat. Tonnenweise hochradioaktives Corium liegt demnach im Innersten des Reaktors und hat offenbar ein Eigenleben entwickelt, das nun für steigende Neutronenwerte sorgt. Das Problem bei der Beseitigung des Coriums ist einerseits die Gefahr durch die starke Strahlung, andererseits die beinahe unerreichbare Lage der Kernschmelze.

Könnte die Lage noch kritischer werden?

Der havarierte Reaktor 4 liegt zwar unter einer dicken Beton-Stahl-Konstruktion, darunter hat sich aber am zerstörten Gebäude seit der Katastrophe nahezu nichts verändert. Die kritischen Messwerte werden aus einem Raum mit dem Namen '305/2' gesendet, der sich tief im Keller des Reaktors befindet und seit dem Unfall unzugänglich ist. Auch extra eingerichtete Sprinkleranlagen, die mit einer Gadoliniumnitratlösung die überschüssigen Neutronen im Reaktor einfangen sollen, erreichen diesen Raum nicht. Eine zu große Trockenheit im Raum '305/2' könnte für die entstandene Kernreaktion im Corium verantwortlich sein. Nun wollen Forscher zu dem problematischen Raum vordringen und dafür Roboter einsetzen, die Löcher in das Corium bohren und diese mit dem chemischen Element Bor auffüllen sollen. So soll die Kettenreaktion verlangsamt werden. Trotz der steigenden Werte im Reaktor gehen Forscher davon aus, dass es in keinem Fall zu einer so kritischen Situation wie vor 35 Jahren kommen kann.